Philipp Marchel: Hast du dich auch schon mal über einen längeren Zeitraum in deinem Job unwohl gefühlt? Kennst du den psychischen Stress, den Gedanken an die Arbeit auslösen? Hast du dir über eine berufliche Neuorientierung Gedanken gemacht?
Seit Jahren kämpfte ich damit, dass ich beruflich einfach nicht glücklich war und der Job auch noch zusätzlich zur psychischen Belastung wurde. Gegen Ende hin waren die Nächte eine Qual, nicht weil ich überarbeitet war und mich vor Bergen an Arbeit nicht raus sah, sondern weil mir in der Stille der Nacht immer wieder bewusst wurde, dass ich im falschen Job saß. Nacht für Nacht wälzte ich mich und konnte einfach keine Ruhe finden, weil ich dauernd über die Situation nachdachte. Man konnte meinen: „ Wieso wechselt er nicht einfach die Stelle?“. Aber so einfach war es nicht. Ein gutes Gehalt, gute Arbeits- und Rahmenbedingungen als Fahrzeugentwickler für einen international bekannten und erfolgreichen Automobilkonzern und daraus folgend ein passabler Lifestyle ließen mich glauben, dass ein Jobwechsel wenig Sinn macht, denn anderswo sind die Weiden auch nicht grüner. Daher machte sich ein Gefühl der Ausweglosigkeit in mir breit, das mir Nacht für Nacht den Schlaf raubte. Ich dachte eine Zeit lang, ich müsste da durch und im Grunde nur resilienter gegenüber den Umständen im Job werden, weil die Benefits überwogen. Dabei war es die Tätigkeit an sich die mich nicht befriedigte und darüber hinaus still und heimlich psychisch krank machte.
Neue Lebensumstände ändern die Sicht auf die Dinge
Ein Ende fand das alles vor ein paar Monaten: Ich konnte mich morgens kaum motivieren, das Bett zu verlassen. Danach saß ich nur geistesabwesend vor dem Notebook und konnte keine Sekunde lang meiner Tätigkeit nachgehen. Das war der Zeitpunkt, an dem ich erkannte, dass ich ein ernsthaftes Problem hatte. Der Gang zum Arzt bestätigte nur, was mein näheres Umfeld schon erahnte und mich über Monate hinweg davor warnte: Ich war in eine Depression geschlittert.
Plötzlich wurde ich aus dem beruflichen Alltag gerissen und mir eine Zwangspause verordnet. Anfangs war das schwer zu akzeptieren, da mir Werte wie Leistungsbereitschaft, Loyalität und Konsequenz wichtig waren. Auf die Karriere war ich nie fixiert und habe immer viel Zeit mit meinem Sohn und meiner Lebensgefährtin verbracht. Nun hatte ich zusätzliche Zeit mit ihnen gewonnen, die mich mit der Distanz zum Job auch die Dinge anders sehen ließen. Ich erkannte, dass ich eine grundlegende Veränderung herbeiführen musste. Ein Neustart, der sich stärker an meinen Interessen und Prägungen orientierte.
Alles auf Anfang
Ich wusste schon immer, was ich gut kann und was mir Spaß macht. Das spürt man gleich, weil man mit Herzblut bei der Sache ist. Daher sehe ich meine Zwangspause nicht als Verlust, sondern als Gewinn, da ich den Blick endlich auf Neues richten und meine berufliche Neuorientierung mit positiver Energie angehen kann.
In meinem Fall bedeutet das, dass ich mich der Elementarpädagogik widme. Das heißt, von vorne zu beginnen, da ich mit Ende 30 zum Berufseinsteiger werde. Wohin mich dieser neue Lebensabschnitt konkret führt, ist noch nicht absehbar, denn es ist bis jetzt lediglich der erste Schritt in eine neue Zukunft und ob diese letzten Endes tatsächlich in einer elementarpädagogischen Einrichtung wie Kindergarten oder Kinderkrippe mündet, ist noch nicht absehbar.
Berufliche Neuorientierung: Neue Risiken, aber auch Chancen
Was mich derzeit am meisten beschäftigt, sind die Einschnitte, die dieser Schritt mit sich bringt. Man hat sich die letzten Jahrzehnte ein Leben aufgebaut, wenn auch nicht primär, aber doch mit dem Job als Basis, denn Arbeit bzw. Einkommen, sichert das Leben grundlegend ab. Wenn man aus einer gut bezahlten Anstellung heraus das Leben ändert und schon im Vorfeld weiß, dass die neue Berufsumgebung deutlich weniger Einkommen und gesellschaftlichen Status mit sich bringt, dann ängstigt das. Man fragt sich, ob man das liebgewonnene Umfeld aus dem Privatleben beibehalten kann. Ob man es finanziell stemmen kann, wie in der Vergangenheit größere Reisen zu unternehmen, oder sich Dinge kaufen zu können, ohne vorher zweimal zu überlegen. Ich glaube, wäre Grundlegendes nicht abgesichert, würde ich den Schritt sowieso nicht wagen.
Aber diese Risiken bieten auch Chancen, denn bildlich gesprochen, habe ich vor mir erst eine weiße Leinwand, wo bisher erst der Rahmen gezeichnet ist, der die Eckpunkte definiert, was möglich wäre. Die Fläche innerhalb dieses Rahmens lässt sich nun mit Chancen füllen, die ich in weiteren Kolumnen aufarbeiten möchte.
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